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Virtuelle T-Gruppe | Sinnvolle Entwicklung oder reine Zumutung?


Montag 14 Uhr. 28 Personen treffen sich Online. Für 2021 soweit ganz Normal. Es sind drei Trainer*innen und 25 Teilnehmer*innen. Ziel ist es gleichzeitig Gruppe zu werden und dieses werden zu beobachten.


Klingt einfach, ist aber tatsächlich eine ungewohnte Herausforderung. Diese Jahr noch ungewohnter als sonst, da es sich zum ersten Mal um eine virtuelle T-Gruppe handelt. (Wenn du wissen willst was eine T-Gruppe ist einfach hier klicken.)


Es folgen insgesamt sechs Tage mit durchschnittlich 6 1/2 Stunden virtuellem Austausch. Sind wir schon Gruppe? Darf man nebenher am Smartphone sein? Wer ist hier für die Sicherheit verantwortlich? Was heißt eigentlich "T-Gruppe"? Wie verhalte ich mich hier richtig? Gibt es ein Richtig und wer bist du da auf der anderen Seite des Bildschirms eigentlich? Solche und ähnliche Fragen haben uns besonders zu Beginn der Woche beschäftigt. Den Pionieren der Gruppendynamik ging es um Demokratielernen, Solidarität, das Verständnis von Gemütserregungen in Gruppen und das Verhältnis von Autorität und Selbststeuerung in Gruppen und Organisationen. Alles relevante Themen und bekannte Themen und dazu findet sich auch jede Menge Literatur. (Empfehlungen findest du hier) Neu ist das digitale Setting mit BigBlueButton als Meeting-Tool (das ich wirklich nicht empfehlen kann).


Für mich war es das dritte Mal, dass ich an einer T-Gruppe teilgenommen habe und für alle anwesenden das erste Mal online. Umso interessanter und aufschlussreicher war es bei der Beobachtung auf Unterschiede zwischen virtueller T-Gruppe und analoger T-Gruppe zu achten. Folgendes ist uns dabei über den Verlauf der sechs Tage klar geworden:


Rahmenbedingungen

- für einige Gruppen-Sessions waren 60 Minuten knapp, manchmal 90 Minuten auch anzusetzen ist eine Empfehlung.

- die erreichte Tiefe im Prozess hat fast alle überrascht

- die Hürde an einer T-Gruppe teilzunehmen ist geringer (Kosten/Anreise)

- man kann sich leichter von der Außenwelt ablenken lassen

- manche berichten schneller zu ermüden


Kommunikation

- informelle Kommunikation wird weniger und ist undurchsichtig. Besonders die Tatsache, dass nicht ersichtlich ist wer mit wem schreibt, chattet oder telefoniert verunsichert einige Teilnehmer*innen

- Blickkontakt und als Konsequenz auch Beziehungsaufbau ist erschwert

- Körpersprache ist stark eingeschränkt, je mehr Körper sichtbar ist umso weniger ist "Augenkontakt" möglich


Dynamiken

- Allianzenbildung ist im virtuellen Setting schwieriger

- es ist einfach sich zu distanzieren, zurückzuhalten

- eigene Impulse können leichter kontrolliert werden, besonders wenn Mikrofone tendenziell stummgeschaltet sind

- Diskussionen schaukeln sich nicht so leicht hoch, weil schon zwei gleichzeitige Sprecher*innen nicht verstehbar sind

- der eigene Arbeitsort hat starken Einfluss auf die eigene Körperhaltung und beeinflusst die Dynamik.

- manche Berichten, dass Sie leichter in Rollen schlüpfen und sich allgemein im virtuellen Raum anders geben.


Technik

- die Qualität von Bild und Ton haben starken Einfluss auf die Wahrnehmung (z.B. verschwommenes Bild, könnte Assoziationen von Unzuverlässigkeit zulassen, die Lautstärke der Stimme hängt von der Qualität des Mikrofons ab und beeinflusst die wahrgenommene Durchsetzungskraft, etc.)

- unterschiede in der Erfahrung im Umgang mit Meeting-Tools kann einerseits verunsichern und gleichzeitig lädt es dazu ein Selbstorganisation stärker als Gruppennorm zu leben. (z.B. Teilnehmer'in statt Trainer'in richtet die Break-Out Räume ein)

- BigBlueButton ermöglicht nur eine Galerieansicht der Teilnehmer*innen, eine Sprecheransicht wäre wünschenswert gewesen

- die permanente Selbstansicht (das eigene Video) irritiert und macht manche befangen


Mein Fazit: T-Gruppe ist und bleibt ein phänomenal gutes Format zum erleben und erlernen von Gruppendynamik und ist etwas was ich jedem und jeder empfehlen würde! Egal ob online oder offline. Aber wähle das Format, in dem du dich primär aufhältst. Und ja es braucht mehr Online-Formate, auch wenn es (auch mich) zuerst abschreckt. Je früher wir anerkennen, dass sich auch nach der Pandemie immer mehr Menschen virtuell treffen umso früher können wir relevante Übungs- und Lernräume schaffen.


 

Was ist eine T-Gruppe?

Vor nunmehr 75 Jahren hat sich in den USA eine ganz besonderes Training entwickelt. Die sogenannte gruppendynamischen Trainingsgruppe (Kurz: T-Gruppe). Lernraum für gruppenbezogene Beobachtung und den Umgang mit gruppendynamischer Prozessen. Die Teilnehmer*innen, die sich wenig oder am besten gar nicht aus früheren Lebenszusammenhängen kennen, bilden gemeinsam mit einem Trainer oder einer Trainerin Gruppen von 8-12 Personen. Diese Gruppen machen sich in mehreren Sitzungen im Laufe einer Woche konsequent selbst zum Thema. Sie untersuchen anhand ihres eigenen Beispiels, wie Gruppen sich entwickeln, welche Prozesse dabei zu beobachten sind, welche Strukturen sich dabei herauskristallisieren, welche Rollen sich verfestigen oder wieder auflösen und vieles mehr.


 







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